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Tatan

Den kennen Sie schon aus der einleitenden Geschichte in der Rubrik "Reiten". Er war mein erstes Pferd in Deutschland, in der Nähe von Berlin. Er ist Traber und war 14 Jahre alt, als ich ihn kennenlernte. Seine wird eine der längsten Geschichten, obwohl ich sie immer wieder gekürzt habe. Aber er war eben mein Anfängerpferd hier zu Hause. Mit ihm hatte ich vor allem Probleme beim Putzen, Satteln und Trensen. Wegen meinen Problemen mit ihm, habe ich überhaupt erst begonnen, nach anderen, sanfteren Wegen im Umgang mit Pferden zu suchen. Beim Reiten war er mir allerdings ein sehr guter Lehrer:

Mein vierbeiniger Reitlehrer

Anfangs als ich noch gar nicht Bescheid wußte, ging er dorthin, wo ich die Zügel hinzog. Irgendwann fand er, daß ich nun schon mehr wissen müßte, und reagierte darauf nicht mehr. Aber er hatte Recht, denn ich hatte mir damals schon einige Bücher gekauft, und darin gelesen. Also versuchte ich, zusätzlich den inneren Schenkel verstärkt anzulegen, wenn ich abwenden wollte. Das akzeptierte er als Verbesserung. Allerdings nicht lange. Wieder einige Wochen später forderte er mehr von mir. Also versuchte ich das mit der Gewichtsverlagerung nach innen, indem ich mit der inneren Hüfte nach vorn unten rutschte, wie ich gelesen hatte. Außerdem legte ich vorschriftsmäßig das äußere Bein etwas nach hinten. Das fand er gut, und wendete wieder ab. Die Innenstellung des Kopfes lieferte ich später freiwillig nach.

Das erste Putzen

Nun zu meinen Problemen mit ihm: Das erste Mal auf diesem Reiterhof angekommen, drückte man mir eine Bürste in die Hand, und erklärte mir, wie und warum ich das Pferd putzen müsse. Dazu muß man wissen, daß man auf dem tschechischen Reiterhof damals für uns die Pferde vorbereitete. Also fing ich zum ersten Mal damit an, ein Pferd zu putzen und fand es schön, ihn dabei immer wieder zu streicheln. Nach und nach verschwanden alle, die vorher dabeistanden, die einen, weil sie davon überzeugt waren, ich käme schon allein klar, die anderen, weil sie ebenfalls noch zu tun hatten. Ich putzte weiter.

Nicht alle Pferde kuscheln gern

Tatan sah sich in alle Richtungen um, und sah, daß wir allein waren. Das sah ich auch, aber dachte mir nichts dabei. Tatan sah sich wieder zu mir um und schnappte zu. Ich sprang vor Schreck zwei Schritte zurück, und blieb ratlos in dieser Entfernung stehen bis Hilfe kam. Heute glaube ich, das waren ca. 100 Punkte, allerdings Minuspunkte, die ich bei Tatan in punkto Respekt sammelte. Man erklärte mir dann, daß Tatan Menschen leider nicht mehr so mag, also nicht unbedingt ein Kuschelpferd ist. Sie hatten ihn von der Trabrennbahn gekauft. Dort war er wohl nicht so gut behandelt worden...

Sich durchsetzen

Mir wurde auch erklärt, wie wichtig es ist, sich durchzusetzen, und daß ein Pferd innerhalb der ersten drei Sekunden nach seinem Vergehen bestraft werden müsse. Ein paar Mal kam man mir auch zu Hilfe und demonstrierte mir dies, wenn ich ihm zu viel durchgehen ließ.
Um ehrlich zu sein, ich hatte Schwierigkeiten damit, mich auf diese Art gegenüber dem Pferd durchzusetzen. Deshalb suchte ich überall nach Wegen und Möglichkeiten, das alles ruhiger hinzubekommen. Ich las viel im Internet, studierte einige Pferde-Versteh-Bücher, ermittelte, welche Methoden es für den Umgang mit Pferden gibt. Die meisten davon sind für Schulpferde-Reiter allerdings nicht verwertbar. Überall findet man allenfalls einzelne Details, die ein wenig weiterhelfen können. Also dauerte es sehr lange, bis ich nach und nach meinen eigenen, ruhigeren Weg fand.

Zufallserkenntnisse

Manches fand ich selbst heraus: Tatan versuchte immer zu beißen, wenn ich ihn satteln wollte. Dann war ich auch am wehrlosesten, denn ich hatte keine Hand frei. Also ließ ich ihn eines Tages vor dem Satteln einen Schritt zurücktreten, bis das Anbindeseil fast straff gespannt war. Dann konnte ich ihn problemlos satteln, denn er versuchte nicht einmal, mich zu beißen. Das fand ich interessant, denn irgendwie war mir klar, daß er nicht wissen konnte, daß das Seil nun zu kurz war, und es deshalb bleiben ließ. Es mußte etwas anderes sein. Es klappte immer wieder. Irgendwann hatte ich es dann gefunden: Wenn zwei Pferde ihre Rangordnung untereinander auskämpfen, dann zieht sich am Schluß das unterlegene Pferd meist rückwärts zurück. Also hatte ich, ohne es zu wissen, durch das Zurückschicken wenigstens für einige Minuten, die Rangordnung neu festgelegt. Das reichte meistens zum Satteln und Trensen.

Von da an suchte ich nach mehr solchen "Tricks", erkannte aber bald, daß es nicht um Tricks sondern um ein Prinzip geht: Man muß Pferden möglichst in ihrer Sprache gegenübertreten. Dazu muß man sich aber mit dieser Sprache und den Pferden auseinandersetzen. Ein ganz einfaches Beispiel zeigte mir Tatan: Solange ich ihm in seiner Box noch automatisch auswich, wenn er an mir vorbei wollte, behandelte er mich respektlos, und drängte mich mitunter auch einfach zur Seite. Unter Pferden wäre das sein gutes Recht gewesen, denn das andere Pferd hätte ihm durch sein Ausweichen deutlich zu verstehen gegeben, daß es das unterlegene von beiden ist. Genau dies tat ich, ohne es überhaupt zu ahnen. Irgendwann fand selbst ich, daß es sich nicht geziemte, wie er mit mir umging. Deshalb ging ich einmal nicht zur Seite, als er vorbei wollte, sondern beugte mich noch leicht in seine Richtung, wurde kurz laut, und schob ihn mit der Faust kräftig zur Seite. Natürlich entwickelte ich auf die Art nicht die Kraft eines Pferdes, trotzdem reichte es aus, daß er diesmal um mich herumgehen mußte. Und dabei blieb ich dann. Durch diesen kleinen Erfolg schöpfte ich Mut und ließ mir daraufhin auch sonst nichts mehr gefallen, und blieb dann auch immer dabei. Außerhalb solcher Situationen behandelte ich Tatan aber nach wie vor sehr nett und freundlich. So entstand nach und nach die richtige Mischung, wodurch meine Probleme nach und nach verschwanden, und wir dadurch immer weniger Auseinandersetzungen beim Umgang miteinander hatten.

Eines Tages sah ich, daß Tatan beim Satteln nicht nur die Ohren anlegte. Auch der Schwanz war zwischen den Beinen eingeklemmt. - Er hatte Angst! Also meinte er das vielleicht gar nicht böse! Ich legte den Sattel sehr vorsichtig auf und achtete peinlich genau darauf, daß keine Falte auf der anderen Seite entstand. Sobald der Sattel lag, tröstete und beruhigte ich ihn. Erst dann zog ich vorsichtig den Sattelgurt an. Die nächsten Male machte ich das wieder so, und sehr bald war das Satteln kaum noch ein Problem.

Komm arbeiten, Tatan!

Wer könnte einer solchen Aufforderung schon widerstehen? Tatan zum Beispiel. Denn als ich ihn einmal wieder allein von der Koppel holen sollte, wollte er sich nicht fangen lassen. Immer drehte er mir sorgfältig sein Hinterteil zu. Ich wußte mir keinen Rat, also holte ich mir Hilfe. Das etwa 15-jährige Mädchen, "seine Reitbeteiligung", ging mit sicherem Schritt in seine Richtung, rief ihn ruhig und - er kam auch nicht zu ihr. Da riß sie zusätzlich noch etwas Gras ab und hielt es ihm hin, während sie ihn rief. Da kam er.
Das habe ich natürlich nie vergessen, da mir die Situation damals doch etwas unangenehm war. Aber woher sollte ich das zu der Zeit wissen?

Was ich von Tatan also alles lernte

- Vor allem, daß man sich doch beim Pferd durchsetzen muß. Es geht nicht ohne.
- Aber die Art und Weise des Durchsetzens kann man selbst bestimmen.
- Man muß bei seinen Entscheidungen bleiben, dann braucht man sie bald nicht mehr neu zu treffen.
- Man muß die Augen offenhalten und beobachten, um Gründe für das "Fehlverhalten" des Pferdes zu finden.
- Man muß die Ruhe bewahren. Es macht mehr Eindruck auf das Pferd, wenn ich nicht die Nerven verliere.
- Man braucht Selbstsicherheit im Umgang mit Pferden durch Wissen (Bücher!) und Erfahrungen (Üben und beobachten!)

Ich habe sehr viel bei dir gelernt, Tatan. Dankeschön.