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Komm, ich führe dich!

Wie führe ich eigentlich ein Pferd? Muss ich dazu denn auch etwas wissen? Manche Pferde gehen brav neben ihrem "Führer" her, ohne Schwierigkeiten zu machen. Sie tun das von sich aus. Leider tun das nicht alle Pferde. Immer wieder kann man dabei kleinere oder auch ziemlich schwerwiegende Probleme beobachten.
  • Manche Pferde drängeln und versuchen, vorweg zu gehen.
  • Andere Pferde lassen sich buchstäblich hinterherziehen
  • Manche Pferde wechseln von sich aus die Richtung
  • Andere ändern von sich aus die Geschwindigkeit
  • Wieder andere sind furchtbar aufgeregt, reißen den Kopf hoch und gehen zu schnell
  • Manche beachten den Menschen neben sich überhaupt nicht und stürmen davon
Prinzipiell sehe ich zwei Ursachen für solcherart Probleme:
  1. Gehorsamsdefizit: Hier stimmt die Rangordnung noch nicht (Führprobleme = Führungsprobleme?)
  2. Aufmerksamkeitsdefizit: Hier stimmen Aufgabenverteilung und / oder Rangordnung noch nicht

1. Rangordnung und Gehorsam

Wie bereits an verschiedenen Stellen angedeutet, versuche ich, im Umgang mit Pferden die Position eines Freundes einzunehmen, der in den erforderlichen Situationen den höheren Rang innehat. Sie erinnern sich:
Wichtig:
Der Ranghöhere bestimmt Richtung und Geschwindigkeit des Rangniederen.
Solange das Pferd meine Richtung und Geschwindigkeit bestimmt, habe ich den niedrigeren Rang. Und dieses Verhältnis muss ich umkehren! - Wie kann ich das erreichen?

Ich halte das Führen eines Pferdes für die Grundlage aller Bodenarbeit. Das heißt: auch als Schulpferdereiter, die sonst keinen Einfluß auf die Ausbildung ihrer Pferde haben, sind wir hier gefordert. Durch schnelle und rechtzeitige Korrektur verbessere ich meine eigene Position gegenüber dem Pferd, bringe ihm aber auch bei, wie es sich beim Führen zu benehmen hat. - Ich habe das absichtlich so rigoros formuliert. Im Vordergrund steht dennoch unverändert die freundschaftlich betonte Beziehung. Aber - nicht vergessen! - auch unter befreundeten Pferden gibt es eine klare Rangordnung. Und wenn wir ganz ehrlich sind, ist dies unter befreundeten Menschen gar nicht so anders.

Im Artikel Sprache - "Ich bin der Chef!" habe ich bereits beschrieben, wie man ein Pferd beim Führen korrigieren kann:
Habe ich Umgang mit einem Pferd, so wird es seiner Natur folgen, und anfangs testen, ob ich wirklich als Chef infrage komme. Schließlich vertraut es mir ja aus seiner Sicht sein Leben an. Es wird sich in Zukunft auf meine Einschätzung, ob etwas eine Gefahr darstellt oder nicht, verlassen, wenn es mich als Chef anerkennt. Wird es beim Führen plötzlich schneller oder langsamer, hat es selbst eine Entscheidung getroffen und ist auf meine Reaktion darauf gespannt. Deshalb korrigiere ich so früh wie möglich seine Geschwindigkeit. Je schneller ich auf die Tempoveränderung reagiere, desto selbstverständlicher wird das Pferd folgen. Je länger ich für meine Reaktion brauche, desto schwieriger wird die Korrektur. Reagiere ich gar nicht, sondern passe vielleicht sogar mein Tempo dem des Pferdes an, ist für mein Pferd klar: "Der ist kein Chef. Also muß ich selbst diesen anstrengenden Job übernehmen."
Das gleiche gilt für eigenmächtige Richtungsänderungen. Sobald mein Pferd soetwas andeutet, reagiere ich mit einem kurzen Gegenzug am Führstrick. Ich behandle den Führstrick dabei genau wie einen Zügel: Ich mache keine ruckartigen, sondern weiche, zähe aber bei Bedarf auch deutliche Bewegungen. Bei einer kleinen Änderung reicht auch eine kleine Gegenbewegung meinerseits.
Anfangs passiert es häufig, daß man solche Kleinigkeiten einfach übersieht. Es wird Ihnen schwerfallen, schnell genug zu unterscheiden, ob das Pferd nur sein Gewicht verlagert, um bequemer stehen zu können, oder weil es irgendwo etwas Interessantes entdeckt hat und nun dort hingehen will (dorthin hat es dann wenigstens ein Ohr gedreht - doch es soll seine Aufmerksamkeit mir zuwenden! - siehe nächsten Abschnitt!). Wenn man die Augen offenhält und solche Prinzipien im Kopf hat, lernt man das mit der Zeit, und steigt dadurch Sprosse für Sprosse die Rangleiter hinauf. Je frühzeitiger ich reagiere desto weniger Kraft muss ich noch einsetzen. Später genügt ein leichtes Zupfen am Halfter, um das Pferd daran zu erinnern, dass ich derjenige bin, der Richtung und Geschwindigkeit vorgibt.

Bemerke ich, dass mein Pferd davonstürmen will, um z. B. schneller auf die Weide zu gelangen, muss ich ebenfalls schnell aber auch deutlich genug reagieren. Ich kann dabei ruhig den Kopf zu mir herumziehen. Schaffe ich das nicht mehr rechtzeitig, d. h. das Pferd stürmt bereits davon, kann ich den Führstrick nur noch loslassen. Danach, wenn ich das Pferd wieder erreicht habe, löse ich den Führstrick und gehe wieder. Mit diesem Pferd müssen zunächst grundlegende Führübungen wiederholt werden, bevor es wieder durch "normale" Reiter geführt werden darf.

2. Aufmerksamkeit und Aufgabenverteilung

Rangordnung und Aufmerksamkeit hängen unmittelbar miteinander zusammen: Wenn die Rangordnung stimmt, habe ich eher die Chance, die Aufmerksamkeit des Pferdes zu bekommen und zu erhalten.
Beides muss aber auch voneinander unterschieden werden: Habe ich den höheren Rang, kann es trotzdem sein, dass mein Pferd einfach leichter ablenkbar ist, als andere. Bemerke ich, dass mein Pferd seine Aufmerksamkeit auf etwas in der Umgebung richtet (Ohr oder der ganze Kopf dreht sich dorthin), nehme ich den Führstrick sofort paradenartig an und gebe wieder nach. Den Kopf ziehe ich dabei wieder in meine Richtung. Dem Pferd sage ich so: "Ich habe es auch gesehen. Es ist nichts. Wir gehen weiter!" - Dasselbe Prinzip wie beim Reiten. So vermeide ich, dass es eigene Entscheidungen trifft und z. B. vor etwas scheut, das es als gefährlich eingeordnet hat.
Dreht das Pferd nur ein Ohr zur Seite, genügen ein oder zweimaliges Zupfen am Führstrick, um wieder die Aufmerksamkeit des Pferdes zu haben.

Auf diese Art lege ich auch die Aufgabenverteilung fest: Dadurch, dass ich meinem Pferd immer wieder sage, dass dies oder jenes nichts Gefährliches ist, und dann festlege, was zu tun ist (weitergehen), mache ich ihm klar, dass ich auf die Umgebung mit all ihren Raubtieren und anderen potentiellen Pferdefressern achte, und das Pferd deshalb die Bodenverhältnisse im Auge behalten soll. Denn davon versteht es mehr als ich, genauso wie ich mehr von Raubtieren verstehe: Ich weiß wie sie aussehen und dass es hier keine gibt.

Beachten sollte man Folgendes: Pferde unterscheiden sich im Charakter voneinander. Führe ich ein Pferd, das kaum schreckhaft ist, problemlos neben mir hergeht, und trotzdem hin und wieder seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung richtet, muss ich nicht jedesmal reagieren. Dann soll es halt mal gucken.
Führe ich ein sehr schwieriges Pferd, das ständig vor etwas erschreckt und davonlaufen will oder sogar vor Angst steigt, bemühe ich mich sehr viel mehr, die ständige Aufmerksamkeit des Pferdes zu haben.

Position des Führenden

Laut FN-Richtlinien ist die korrekte Position des Führenden neben der linken Schulter des Pferdes. Hier gibt es ein Problem: Dies ist die Position des Rangniederen! Laufen zwei Pferde nebeneinander her, kann man anhand dieser Position eindeutig die Rangordnung feststellen. Das Pferd, welches vorneweg geht, hat den höheren Rang.
Die Position neben der linken Schulter des Pferdes wurde vor langer Zeit aus praktischen und sicherheitstechnischen Erwägungen so festgelegt. Viele Pferde akzeptieren das sogar; leider nicht alle. Deshalb entstehen immer wieder Probleme bezüglich des Führungsanspruches: Der Mensch läßt dem Pferd beim Führen den Vortritt, will aber trotzdem über Richtung und Geschwindigkeit des anderen bestimmen.
Deshalb bin ich dafür, diese Position beim Führen von Pferden nach vorn zu korrigieren, wenn sie mit der herkömmlichen Position Probleme haben.
Diese Art des Führens, bei der das Pferd rechts hinter dem Menschen geht, wird gemeinhin als "falsch" bezeichnet und steht in der Kritik, gefährlicher zu sein, da das Pferd den Menschen in einer Schrecksituation von hinten anspringen könnte. Dazu Folgendes:
  1. Der führende Mensch muss darauf achten, dass das Pferd trotzdem seitlich (rechts) hinter ihm geht.
  2. Der führende Mensch muß das Pferd trotzdem immer mindestens im Augenwinkel behalten. Dies gilt nicht nur beim Führen sondern bei jeder Art von Umgang mit dem Pferd: Niemals das Pferd aus den Augen lassen!
  3. Ist die Rangordnung klar, wird das Pferd tunlichst darauf achten, den Menschen nicht anzurempeln! Nicht von hinten und nicht von der Seite!
  4. Ist die Rangordnung zwischen Mensch und Pferd dagegen nicht klar, kann diese Art des Führens tatsächlich gefährlicher sein.
Die Entscheidung, welche Position er beim Führen einnimmt, muss aufgrund dieser Überlegungen letztlich jeder für sich selbst treffen.